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932. Ordnung für die Archivpflege in der Württ. Evang. Landeskirche

Erlaß des Oberkirchenrats vom 11. Januar 1960 (Abl. 39 S. 12)

  1. Das Archivgut, das bei den Dekanat- und Pfarrämtern der Württ. Evang. Landeskirche vorhanden ist, bedarf der Feststellung, Verzeichnung und sorgsamen laufenden Überwachung. Der Evang. Oberkirchenrat bestimmt deshalb auf Vorschlag der Evang. Dekanatämter für jeden Kirchenbezirk einen historisch interessierten, geeigneten Pfarrer oder Laien zum Archivpfleger.
  2. Die fachliche Aufsicht über die Archivpfleger in der Württ. Evang. Landeskirche obliegt dem Landeskirchlichen Archiv in Stuttgart, das die Archivpfleger zu Arbeitstagungen zusammenruft.
  3. Der Archivalienschutz, der den Archivpflegern aufgetragen ist, erstreckt sich auf den Bestand aller kirchlichen Archive des Kirchenbezirks und auf das gesamte archivreife Material der Registraturen des Dakanatamts und der Pfarrämter. In besonderen Fällen können für einen Kirchenbezirk mehrere Archivpfleger bestellt werden.
  4. Mit den staatlichen Archivpflegern halten die kirchlichen Archivpfleger in Fragen des allgemeinen Archivalienschutzes und der Orts- und Heimatgeschichtsforschung Fühlung.
  5. Wo das archivreife Material aus der Registratur noch nicht ausgeschieden und die kirchlichen Archive nicht eingerichtet oder im Sinne der folgenden Richtlinien nicht ausreichend verzeichnet sind, verschafft sich der Archivpfleger einen Überblick über die beim Dekanatamt oder bei den Pfarrämtern vorhandenen Archivalien in Wohnhäusern, Kirchen und sonstigen kirchlichen Gebäuden. Dazu ist nicht nur der Registraturraum zu durchsuchen, sondern auch Nebenräume wie Bühne und Keller, Sakristei und Turm der Kirche. Nachfragen bei früheren Stelleninhabern, bei Kirchenpflegern und Heimatgeschichtsforschern sind oft von Wert.
  6. Wo ausgesprochen kirchliche Archivalien im Besitz der bürgerlichen Gemeinde ermittelt werden, ist das Landeskirchliche Archiv in Stuttgart zu verständigen, das ggf. eine Rückführung in kirchlichen Besitz in die Wege leitet.
  7. Alle Archivalien, die bei den Sucharbeiten (Ziff. 3) aufgefunden wurden und in das einzurichtende kirchliche Archiv übernommen werden sollen, sowie die Bestände der schon bestehenden kirchlichen Archive müssen, entsprechend der Ordnung für die kirchlichen Archive in der Württ. Evang. Landeskirche1#, so untergebracht werden, daß sie gegen Feuchtigkeit, Feuer und unmittelbares Sonnenlicht geschützt und vor Diebstahl und Veräußerung gesichert sind. Besondere Sorgfalt ist der Unterbringung der Kirchenbücher in verschlossenen Schränken zu widmen.
  8. Die in seinem Bezirk liegenden Pfarrarchive soll der Archivpfleger selbst ordnen, verzeichnen und einrichten; will der Ortspfarrer diese Arbeit tun, so berät ihn der Archivpfleger. Gleichzeitig mit der Einrichtung der kirchlichen Archive wird das nicht archivwürdige Material nach den Vorschriften der Richtlinien für die Kassation von Akten und Druckschriften (Erlaß des Evang. Oberkirchenrats vom 9. September 1959 Nr. A. 10783) kassiert (vernichtet). Das Recht der Kassation steht dem Ortspfarrer nicht zu, auch wenn er sonst sein Archiv selbst verzeichnet; es ist dem Archivpfleger vorbehalten.
  9. Das Landeskirchliche Archiv in Stuttgart ist bemüht, die Arbeit der Archivpfleger bei der Einrichtung der kirchlichen Archive in der Weise zu unterstützen, daß es besonders umfangreiche oder schwer aufzunehmende Pfarrarchive im Benehmen mit dem Archivpfleger selbst verzeichnen läßt. Nach Möglichkeit werden während der akademischen Ferien auch Studenten vermittelt, die, durch einen Kurs in das Archivwesen eingeführt, unter der gemeinsamen Aufsicht und Leitung von Landeskirchlichem Archiv und Archivpfleger die vom Archivpfleger festgestellten Archivalien der Pfarrämter ordnen und verzeichnen. Ein entsprechender Antrag ist möglichst frühzeitig an das Landeskirchliche Archiv in Stuttgart zu stellen.
  10. Die Archive der Dekanatämter werden im allgemeinen unmittelbar vom Landeskirchlichen Archiv eingerichtet, falls der Archivpfleger diese Arbeit nicht ausdrücklich selbst übernehmen will.
  11. Die Ordnung und Verzeichnung der kirchlichen Archive erfolgt nach den beiliegenden Richtlinien. Auf Grund der Ordnung und Verzeichnung wird für jedes kirchliche Archiv ein Inventar in mindestens 4facher Fertigung hergestellt (für das Dekanatamt, den Archivpfleger, das Pfarramt und das Landeskirchliche Archiv).
  12. Der Archivpfleger besucht die kirchlichen Archive seines Bezirks alle 4 Jahre mindestens 1mal. Ein solcher Besuch findet rechtzeitig vor jeder Visitation und vor jedem Wechsel in der Besetzung der Dekanats- oder einer Pfarrstelle statt. Im Fall der Visitation wird der Bericht des Archivpflegers dem Pfarrbericht beigelegt, sonst wird er dem Landeskirchlichen Archiv in Stuttgart zugeleitet.
  13. Der Archivpfleger überzeugt sich bei seinen Besuchen von der Einhaltung der in der Ordnung für die kirchlichen Archive in der Württ. Evang. Landeskirche gegebenen Vorschriften. Anstände, die sich während der Amtszeit eines Stelleninhabers in einem kirchlichen Archiv ergeben haben, müssen vor einem Wechsel in der Besetzung behoben werden.
  14. Der Archivpfleger berät die Pfarrer seines Bezirks in allen historischen Fragen, in den Fragen des Archivalienschutzes, besonders der Herstellung beschädigter Kirchenbücher sowie in der Frage einer geordneten Führung der Registratur. Er ist ferner darum besorgt, daß bei den Pfarrämtern das gedruckte ortsgeschichtliche Material (z. B. Ortsbeilagen der Gemeindeblätter) aufbewahrt, gesammelt und aufgebunden wird. Bei allen seinen Aufgaben kann der Archivpfleger den Rat und die Hilfe des Landeskirchlichen Archivs in Stuttgart erbitten.
  15. Das Amt der Archivpfleger ist ehrenamtlich. Die entstehenden Fahrtkosten werden jedoch auf Anforderung vom Landeskirchlichen Archiv in Stuttgart jährlich einmal ersetzt. Etwa notwendig werdende Tagegelder für einen längeren Aufenthalt bei der Verzeichnung von Pfarrarchiven trägt die betreffende Kirchengemeinde (Archivfonds). Die Verteilung der Kosten bei der Verzeichnung kirchlicher Archive durch Studenten wird im Zusammenwirken mit dem Landeskirchlichen Archiv in Stuttgart geklärt.
  16. Der Archivpfleger sammelt die bei ihm eingehenden Schriftstücke über die Archivpflege seines Bezirks und vor allem die Inventare der kirchlichen Archive und übergibt sie ordnungsgemäß seinem Nachfolger
  17. Der Archivpfleger soll bei der Übertragung von besonderen Aufgaben innerhalb der Pfarrerschaft eines Kirchenbezirks nach Möglichkeit nicht weiter belastet werden.
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ANLAGE
Richtlinien für die Verzeichnung kirchlicher Archive

1.
Trennung von Archiv und Registratur
Alles Material, das bis zum Jahr 1923 einschließlich für die laufenden Amtsgeschäfte nicht mehr benötigt wird, ist gemäß Ziffer 3 der Ordnung für die kirchlichen Archive in der Württ. Evang. Landeskirche Bestandteil des Archivs. In besonderen Fällen kann das Material bis zum Jahr 1944 einschließlich in das Archiv ausgeschieden werden.
2.
Trennung nach Ämtern
Die Archivalien jeder Stelle, bei der sie durch Einlauf, Auslauf und Innenlauf entstanden sind, bilden einen in sich abgeschlossenen Archivkörper. Die Akten der mit dem Dekanatamt verbundenen Pfarrstelle sollen gesondert von den dekanatamtlichen Akten verzeichnet werden.
3.
Trennung nach Epochen in Archivabteilungen
Die Verzeichnung des Archivs soll die Ordnung der Akten erkennen lassen, wie sie vor der Ausscheidung in das Archiv bestand. Da die Akten aus der Zeit vor 1800 meist nach keinem erkennbaren Ordnungsschema übernommen sind, müssen diese von den Akten des 19. Jahrhunderts getrennt werden, die in vielen Fällen vorgeordnet sind. Je nachdem, ob die Akten des ganzen 19. Jahrhunderts in die Rubriken eines später erlassenen Registraturplans nachträglich eingeordnet wurden oder nicht, ergeben sich 2–3 Archivabteilungen:
a)
bei der Ordnung der Bestände des ganzen 19. Jahrhunderts nach dem Registraturplan von 1893 bzw. 1901:
Erste Archivabteilung: Akten bis zum Jahr 1800/1810.
Zweite Archivabteilung: Akten von 1800/1810 bis 1923 (1944).
b)
bei der Ordnung der Bestände des 19. Jahrhunderts nach einer anderen Ordnung:
Erste Archivabteilung: Akten bis zum Jahr 1800/1810.
Zweite Archivabteilung: Akten von 1800/1810 bis ca. 1900 (Reg.Plan).
Dritte Archivabteilung: Akten von 1900 bis 1923 (1944).
4.
Gliederung der Akten in Gruppen
Innerhalb jeder Archivabteilung wird das Material gegliedert in Urkunden, gebundene Akten, ungebundene Akten, Rechnungen. Bei den gebundenen Akten werden die kirchlichen Register berücksichtigt.
5.
Kassation
Gleichzeitig mit der Einrichtung eines kirchlichen Archivs erfolgt die Kassation (Vernichtung) der Akten, die nicht dauernd aufbewahrt werden müssen. Maßgebend dafür sind die Richtlinien für die Kassation von Akten und Druckschriften (Erlaß des Evang. Oberkirchenrats vom 9. September 1959 Nr. A. 10783).
6.
Zusammenstellung der einzelnen Gruppen
a)
Zwischen den einzelnen Archivabteilungen (Ziffer 3) werden springende Nummern verwendet:
Zum Beispiel:
Erste Abt. (bis ca. 1800 : Nr. 1–27.
Zweite Abt. (ca. 1800 – ca. 1900) : Nr. 50–78.
Dritte Abt. (seit 1900): Nr. 100–112.
b)
Innerhalb jeder Archivabteilung werden alle Archivalien von den Urkunden bis zu den Rechnungen fortlaufend numeriert; bei größeren Archiven können jedoch zwischen den einzelnen Gruppen (Ziffer 4) ebenfalls springende Nummern verwendet werden.
7.
Verzeichnung der Urkunden
Die Urkunden werden zeitlich geordnet und mit einer genauen Zeitangabe und einer gedrängten Inhaltsübersicht (Regest) aufgenommen. Im Regest werden die wesentlichen Gesichtspunkte, Orte und Personen erwähnt. Jede Urkunde wird in einen Umschlag verpackt, auf dem die laufende Nummer, das Datum der Ausstellung und ein kurzer Sachbetreff vermerkt ist.
8.
Verzeichnung der gebundenen Akten
Die gebundenen Akten werden nach dem bisher schon gültigen Formular (Vordruck für die Verzeichnung der älteren Registraturbestände) beschrieben und aufgenommen.
9.
Verzeichnung der ungebundenen Akten
a)
Die ungebundenen Akten werden für jeden Sachbetreff chronologisch geordnet, das älteste Stück liegt unten. Alte Sachbetreffe müssen verwendet werden, eine etwaige Korrektur wird in Klammern beigefügt. Besonders wichtige Stücke werden durch einen Intusvermerk nachgewiesen.
b)
Die Archivfaszikel sollen höchstens 10–15 cm stark sein, notfalls werden mehrere sachlich verwandte Betreffe in Unterbunden zu einem Archivfaszikel zusammengetragen. Die Unterbunde werden gesondert verpackt, beschriftet und ins Inventar aufgenommen, sie erhalten einen kleinen Buchstaben hinter der laufenden Archivnummer. Hinter dem Sachbetreff wird eine etwa gefundene Registraturnummer angegeben.
Zum Beispiel:
Nr. 55 Geistliche 1821–1843. 1867–1878
a) Ständ. Geistliche A 1 a 1821–1843. 1870–1872
b) Unständ. Geistliche A 1 b 1867–1878
c)
Die Archivfaszikel werden in Deckblätter aus haltbarer Graupappe verpackt und mit Hanfschnur verschnürt. Auf den Deckblättern wird die laufende Nummer des Faszikels, Sachbetreff und Grenzjahr vermerkt.
10.
Verzeichnung der Rechnungen
Die vorhandenen Rechnungen werden nicht nur summarisch für den ganzen Zeitraum angegeben, es werden vielmehr die Gesamtzahl der vorhandenen Rechnungsbunde und die Grenzjahre der einzelnen Bunde aufgeführt.
11.
Vorwort
In einem Vorwort sollte über die Zeit der Verzeichnung, über Unterbringung und über Besonderheiten des Archivs berichtet werden. Angaben über die Geschichte des Amtes, dessen Archivalien im betreffenden Archiv verwahrt werden, sind ebenfalls erwünscht.
12.
Schlußbemerkungen
Das Landeskirchliche Archiv ist bei der Beschaffung von Verpackungsmaterial behilflich. Formulare für die Verzeichnung der gebundenen Akten und Muster für Inventare von kirchlichen Archiven können dort angefordert werden.
Die vorliegenden Richtlinien gelten für einen Normalfall. Bei besonderen örtlichen Verhältnissen können sie entsprechend und sinngemäß abgewandelt werden.

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1 ↑ Red. Anm.: Abgedruckt unter Nr. 930 dieser Sammlung.